Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Brasilien |

Brasiliens Wahlkampf nimmt mit erstem TV-Duell Fahrt auf

Kaum hat der Wahlkampf in Brasilien begonnen, läuft er sofort auf Hochtouren. Die Kandidaten Jair Bolsonaro und Luiz Inácio Lula da Silva starteten im Angriffsmodus und trafen am Sonntag erstmals in einer TV-Debatte aufeinander. Dort attackierten sie sich wechselseitig von Anfang bis Ende und bezeichneten sich als „Lügner“, „korrupt“, „Ex-Häftling“ und „Zerstörer Brasiliens“.  

Anhängerinnen des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva nehmen an einer Anti-Bolsonaro-Demonstration in Rio de Janeiro teil. Foto (2021): Adveniat/Tobias Käufer

Anhängerinnen des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva nehmen an einer Anti-Bolsonaro-Demonstration in Rio de Janeiro teil. Foto (2021): Adveniat/Tobias Käufer

Die Kandidaten Jair Bolsonaro und Luiz Inácio Lula da Silva starteten den Präsidentschaftswahlkampf im Angriffsmodus und trafen am Sonntag erstmals in einer TV-Debatte aufeinander. Dort attackierten sie sich wechselseitig von Anfang bis Ende und bezeichneten sich als „Lügner“, „korrupt“, „Ex-Häftling“ und „Zerstörer Brasiliens“.  

Bis zur ersten Runde am 2. Oktober bleibt wenig Zeit, um Unentschlossene zu überzeugen. Aber ob das Fernsehduell dazu beiträgt, ist zweifelhaft. Es ging weniger um Inhalte und mehr darum, den Gegner anzugreifen. Bei der Wahl in fünf Wochen treffen die Extreme der brasilianischen Politik aufeinander, ein altlinker Demokrat gegen einen neuen Rechten, dem die Demokratie nur so lange hilft, bis sie ihn an die Macht bringt und er sie dann aushöhlen und langsam abschaffen kann. Es ist der Wettkampf zwischen den beiden meistgeliebten und meistgehassten Politikern Brasiliens. Lula führt die Umfragen derzeit mit knapp 15 Prozentpunkten Vorsprung an. Aber Bolsonaro holt auf. 

Bolsonaro zweifelt Wahlsystem an

Insbesondere der amtierende rechtsradikale Staatschef, der um seine Wiederwahl fürchten muss, greift im Wahlkampf und auch in der TV-Debatte auf die bekannten Werkzeuge zurück: das Umgarnen der religiösen Wähler und der ärmsten Brasilianerinnen und Brasilianer. Aber vor allem arbeitet er mit Lügen, Drohungen und stellt das Wahlsystem und damit die Demokratie in Frage. Bei dem Duell mit den sechs Kandidatinnen und Kandidaten am Sonntag behauptete er nachweislich falsch, dass die Inflation in Brasilien geringer sei als in den USA.
 
Dass so etwas die knapp 30 Prozent der Brasilianer abschreckt, die zur unverbrüchlichen Wählerschicht des ehemaligen Offiziers und Diktatur-Freunds Bolsonaro zählen, ist unwahrscheinlich. Sie sind für sachliche Argumente nicht mehr zugänglich. Sie verteidigen ihren Präsidenten, den sie „Mythos“ rufen, gegen alle Anfeindungen. Bolsonaros Herausforderer Lula da Silva, die Ikone der Linken Lateinamerikas, regierte Brasilien bereits von 2003 bis 2010.

Gut ausgebildete junge Leute verlassen das Land

Die Angst großer Teile der Bevölkerung ist, dass Bolsonaro mit Hilfe bewaffneter Anhänger und treuer Streitkräfte eine Wahlniederlage nicht anerkennt und tatsächlich putscht. Immer mehr junge und gebildete Brasilianerinnen und Brasilianer verlassen daher das Land. Nach Daten des Außenministeriums von 2021 leben 4,2 Millionen Brasilianer im Ausland, was einem Anstieg von fast 20 Prozent gegenüber 2018, dem Jahr, in dem Bolsonaro gewählt wurde, entspricht. Besonders auffällig dabei ist, dass der Brain-Drain zunimmt: Immer mehr Familien mit Hochschulabschluss suchen das Weite. Zwischen 2019 und 2020 fiel Brasilien in einer globalen Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit, die von der Business School „Insead“ erstellt wurde, vom 63. auf den 70. Platz. Die „Perspektivlosigkeit“ unter einem Präsidenten wie Bolsonaro treibe gerade die Bildungsschichten ins Exil, sagt Vanessa Cepellos, Professorin für Personalmanagement an der renommierten „Fundação Getulio Vargas“ in São Paulo.

Schwächelnde Wirtschaft und Inflation

Wurde die Wahl 2018 von der Wut der Menschen über die Korruption dominiert, steht dieses Mal die Wirtschaft im Fokus. Diese schwächelt nach wie vor. 2020 brach sie bedingt durch die Pandemie um 4,1 Prozent ein und erholte sich 2021 um 5,2 Prozent. Dieses Jahr entwickelt sich die größte Volksökonomie Lateinamerikas besser als erwartet, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Rechneten die meisten Finanzinstitute zum Jahresbeginn noch mit einer Stagnation, so geht die Regierung nun von einem realen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,5 Prozent aus. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erhöhte seine Prognose für das BIP-Wachstum Im August auf 1,7 Prozent.
 
Dazu trägt auch der Krieg in der Ukraine bei. Brasilien leidet, weil es der weltgrößte Importeur russischer Düngemittel war. Auf der anderen Seite kommt dem Land zugute, dass es als Nettoexporteur von den steigenden Weltmarktpreisen für Nahrungsmittel und Energie profitiert. 

33 Millionen Brasilianer leiden Hunger

Der Amtsinhaber, dem die Menschen Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und ein katastrophales Pandemie-Management anlasten, setzt im Wahlkampf darauf, mit seinen Sozialprogrammen vor allem dort Stimmen zu holen, wo Lula besonders stark ist: in den armen Staaten des Nordostens. Im Rahmen des Programms „Auxílio Brasil“ (Hilfe für Brasilien) erhalten bedürftige Familien monatlich mehr als 100 Euro Hilfe. Es gibt zudem Gutscheine für Kochgas und Direkthilfen für Taxi- und LKW-Fahrer. Dafür gibt Bolsonaro acht Milliarden Dollar an Staatsgeldern aus, was eigentlich verboten ist. „Auxílio Brasil“, das bis 2023 laufen soll, kopiert Lulas Sozialprogramm „Bolsa Família“ aus seinen ersten beiden Amtszeiten. Dieses machte ihn über Brasilien hinaus berühmt und führte weite Teile der Armen zeitweise in die untere Mittelschicht. Heute gelten wieder 33 Millionen Menschen in Brasilien als hungernd. Das sind 16 Prozent der Bevölkerung. 

Lula verspricht Klimaschutz-Politik

Herausforderer Lula da Silva machte bei seinen ersten Auftritten im Wahlkampf deutlich, dass er auch in diesen neuen Zeiten mit seinen leicht modifizierten alten Rezepten versuchen werde, das Land wieder auf Kurs zu bringen. Die „Reparatur Brasiliens", wie er es nennt, soll eine Neuauflage der Politik sein, die er zwischen 2003 und 2010 umgesetzt hat: also vor allem über staatliche Investitions- und Infrastrukturprojekte Arbeitsplätze schaffen. Zudem werde er den illegalen Bergbau im Amazonasgebiet umgehend stoppen, versprach der Linkskandidat. Er wolle die Umwelt zu einer der Prioritäten seiner Regierung machen. „Wir werden uns um das Klimaproblem kümmern wie nie zuvor.“ Und er versprach weiter: „Die Brasilianer waren unter mir glücklicher und haben besser gelebt.“ So solle es auch in Zukunft wieder sein.
 
Schon 2018 wollte Lula gegen Bolsonaro antreten, wurde aber in einem umstrittenen Verfahren wegen Korruption und Geldwäsche zu einer gut zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hob der Oberste Gerichtshof das Urteil auf. Der 76-Jährige erhielt seine politischen Rechte zurück und ging wieder in die Politik und ficht das Duell mit seinem Erzfeind nun aus. „Ich habe gesehen, wie dieses Land zerstört wird. Also habe ich beschlossen, zurückzukehren.“

Autor: Klaus Ehringfeld, Chile

Weitere Nachrichten zu: Politik

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz