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Brasiliens Wähler ziehen in die Mitte

Es scheint, dass die Brasilianer genug von der jahrelangen Polarisierung haben. Bei den Kommunalwahlen erteilten sie Linksaußen und Rechtsaußen eine Absage und wählten gemäßigte Mitte-Rechts-Kandidaten.

Brasilien, São Paulo

"Positividade" - umgangssprachlich "Optimismus": eine Aufschrift im Stadtteil Jardim Damasceno, Brasilândia, in São Paulo, Brasilien. Foto: Adveniat/Florian Kopp

Lula gegen Bolsonaro, die Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) gegen die neue Ultra-Rechte: In Ansätzen seit dem Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff 2016, dann aber gewaltig ab dem Wahlkampfjahr 2018 dominierte dieser Antagonismus die brasilianische Politik. Um einen Wahlsieg der in Korruptionsskandale verstrickten PT zu verhindern, stimmten viele Brasilianer 2018 widerwillig für Bolsonaro. Andererseits: Um den Wahlsieg des Ex-Militärs zu verhindern, stimmten Millionen Brasilianer widerwillig für Fernando Haddad, der anstelle des inhaftierten Lula 2018 für die PT antrat.

Beide Lager standen sich dabei unversöhnlich gegenüber: auf der einen Seite die „korrupten Kommunisten“ der PT, auf der anderen Seite „Bolsonaros Faschisten mit ihrer Vorliebe für Folterer der Diktaturzeit“. Seit den Kommunalwahlen, die in erster Runde am 15. November stattfanden und am Sonntag mit Stichwahlen in 57 großen Städten ihren Abschluss fanden, kann Brasilien darauf hoffen, wieder in gemäßigtere Fahrwasser zu gelangen. 

Mitte-Rechts-Parteien als Sieger der Kommunalwahlen

Denn der große Sieger der Wahlen wurden die gemäßigten Mitte-Rechts-Parteien. So gewann Eduardo Paes von den Democratas (DEM) in Rio de Janeiro das Bürgermeisteramt und löste den ultra-konservativen Marcelo Crivella ab, der „Bischof“ der evangelikalen „Universalkirche“ ist. In São Paulo, Brasiliens größter Stadt, siegte Bruno Covas von der Zentrumspartei PSDB gegen Guilherme Boulos von der PSOL.

Die PSOL war 2005 von Dissidenten der PT gegründet worden, die mit Lula da Silvas Allianz mit korrupten Hinterbänklern nicht einverstanden waren. Der PSOL gelang es als einzige Linksaußen-Partei eine Großstadt zu gewinnen: Belém, die Amazonasmetropole. Manuela D`Ávila, aussichtsreiche Kandidatin der Kommunistischen Partei, musste sich im südbrasilianischen Porto Alegre in der Stichwahl geschlagen geben. Beide sind jedoch Hoffnungsträger einer neuen Linken jenseits der PT für die nächsten Jahrzehnte.

Arbeiterpartei ohne Bürgermeisterposten in Landeshauptstadt

Die PT traf es besonders hart: Erstmals seit der Redemokratisierung 1985 konnte sie keine der Landeshauptstädte für sich gewinnen. Lulas Partei musste sich mit Siegen in zweitrangigen Städten zufriedengeben. Besonders die Niederlage in der Stadt São Paulo, die bereits dreimal von PT-Bürgermeistern regiert wurde, dürfte schmerzen. Sie dürfte eine Diskussion darüber auslösen, ob die PT sich von ihrem Gründer und ihrer Galionsfigur Lula da Silva zukünftig schärfer abgrenzen sollte. Andererseits droht wohl eine weitere schmerzliche Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2022.

So zählen gemäßigtere linke Kräfte wie die PSB und die PDT zu den Siegern. Besonders der Sieg von Kandidat Sarto von der PDT in Fortaleza dürfte dessen politischem Ziehvater Ciro Gomes Auftrieb für 2022 geben. Bei den Wahlen 2018 hatte der Streit zwischen Gomes und Lula eine breite Front gegen Bolsonaro verhindert und diesem den Wahlsieg erleichtert. Eine Kandidatur von Gomes, die von den restlichen Parteien des linken Spektrums unterstützt würde, könnte eine schlagkräftige Alternative für 2022 bedeuten.

Bolsonaros Kandidaten in allen Großstädten unterlegen

Bolsonaro selbst ist wohl der größte Verlierer der Kommunalwahlen. Praktisch alle seine Kandidaten in den Großstädten unterlagen. Dabei hatten ihn seine Berater im Vorfeld gewarnt, sich in die oft unübersichtliche Lokalpolitik einzumischen. Doch Bolsonaro konnte der Versuchung nicht widerstehen, seinem politischen Erzfeind, der PSDB in São Paulo, eins auszuwischen. So setzte er auf den TV-Moderator Celso Russomanno, der allerdings gegen Amtsinhaber Bruno Covas keine Chance hatte. Covas gilt als Verbündeter des Gouverneurs von São Paulo, João Doria, der 2022 gegen Bolsonaro antreten will. Beide gehören der PSDB an.

Doch auch aus dem gemäßigteren rechten Lager droht Bolsonaro nun ernsthafte Konkurrenz. So könnte die wiedererstarkte DEM einen konkurrenzfähigen Kandidaten in das Rennen 2022 schicken. Derzeit präsidiert die Partei sowohl den Senat wie auch das Abgeordnetenhaus. Vor allem Rodrigo Maia, der Präsident des Abgeordnetenhauses, hat seit Bolsonaros Amtsantritt im Januar 2019 an Profil gewonnen. Er ist als Brückenbauer bekannt, der mit den Linken wie den Rechten gut auskommt.

Starke Konkurrenz für Bolsonaro

So könnte man sich nach den Kommunalwahlen durchaus ein Dreier-Rennen zwischen João Doria (PSDB), der mit São Paulo den bevölkerungsreichsten Bundesstaat in die Waagschale wirft, sowie mit Rodrigo Maia (DEM), der als Kandidat seine Heimat Rio de Janeiro hinter sich wissen würde, sowie Ciro Gomes (PDT) als Vertreter des linkslastigen Nordostens vorstellen. Für welche Partei Bolsonaro antreten wird, ist derweil noch offen. Bisher ist es ihm nicht gelungen, seine eigene Partei, die „Allianz für Brasilien“, startklar zu machen. Ob für ihn gegen zwei Kandidaten des gemäßigten rechten Lagers - Maia und Doria - überhaupt noch genug Spielraum bleibt, ist fraglich.

Autor: Thomas Milz, Brasilien

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