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Brasiliens verschleppte Impfkampagne

Ein Jahr nach Impfstart sind zwei Drittel der Brasilianer geimpft. So viele hätten es schon im Juli sein können, sagt eine Insiderin. Gescheitert sei das vor allem am Unwillen der Regierung, genügend Impfstoff zu kaufen.

Ein Jahr nach Impfstart sind zwei Drittel der Brasilianer geimpft. So viele hätten es schon im Juli sein können. Foto (Symbolbild): Vacunación contra el Covid, D. Esteban González // JCCM, Gobierno de Castilla-La ManchaCC BY-SA 4.0

"Die Infrastruktur des brasilianischen Gesundheitssystems hat genug Kapazitäten, um pro Tag drei Millionen Menschen zu impfen", sagt Carla Domingues. "Mit genug Impfstoff hätten schon im vergangenen Juli so viele Menschen gegen COVID-19 geimpft sein können, wie es heute sind."

Domingues weiß, wovon sie spricht: Mehr als acht Jahre lang, von 2011 bis 2019, war die promovierte Tropenmedizinerin Koordinatorin des nationalen Impfprogramms "Programa Nacional de Imunizações" (PNI). In ihre Amtszeit fällt zum Beispiel die nationale Impfkampagne gegen Gelbfieber nach einem Ausbruch der Tropenkrankheit im Jahr 2017.

Durchwachsene Impfkampagne

Seit einem Jahr läuft nun die Impfkampagne gegen COVID-19 in Brasilien. Allerdings sperrte sich die Regierung von Jair Bolsonaro von Anfang an gegen eine konsequente Durchimpfung der Bevölkerung. Vorwürfe, nach denen die Regierung Anfang 2021 Angebote der Hersteller für Lieferungen mehrerer Millionen Impfdosen abgelehnt hat, sind durch eine parlamentarische Kommission untersucht und bestätigt worden.

Knapp sieben Monaten nach dem Auftakt waren erst 20 Prozent der brasilianischen Bevölkerung gegen COVID-19 geimpft. Erst im August nahm die Impfkampagne deutlicher an Fahrt auf. Heute sind etwa 70 Prozent der Brasilianer geimpft - ein größerer Anteil als in den USA, obwohl das südamerikanische Land einen Monat später mit dem Impfen begonnen hat. Bis heute wird die Impfkapazität des brasilianischen Gesundheitssystems nicht voll ausgeschöpft und inzwischen flacht die Kurve der Impfungen wieder ab, weil die Impfstoffe erneut knapp werden.

Impfskepsis nicht verbreitet

Anders als in vielen Ländern in Europa und Nordamerika scheitere eine schnellere Durchimpfung der Bevölkerung in Brasilien nicht am Widerstand der Bevölkerung, meint Impfexpertin Domingues. Die Infektiologin Flavia Bravo von der Technischen Kommission der "Nationalen Gesellschaft für Immunisierung" (SBIm) sieht das ähnlich: "In Brasilien machen die Impfgegner viel Lärm, aber es sind nicht viele und es sind immer dieselben."

Einer von ihnen ist immerhin Präsident des Landes: Jair Bolsonaro bezeichnet die Impfkampagnen als von Partikularinteressen geleitet und behauptet, selbst nicht geimpft zu sein. Allerdings ist dies in Brasilien eher eine Nischenansicht. Denn laut Daten der Weltbank ist die Zustimmung zur COVID-19-Impfung in Brasilien die größte in Lateinamerika. Im regionalen Durchschnitt lehnen sie rund acht Prozent der Bevölkerung ab, in Brasilien sind es nur drei Prozent.

Großes Vertrauen in Impfstoffe

Wesentlich dazu beigetragen habe die "vortreffliche Arbeit", die das PNI seit fast einem halben Jahrhundert leiste, meint SBIm-Ärztin Bravo: "Das Programm hat Vertrauen in der Bevölkerung geschaffen. Impfungen sind für Brasilianer Teil ihres Lebens und die Bevölkerung mag Impfungen."

Angriffe gegen eine Impfkampagne wie nun bei COVID-19 seien eine absolute Ausnahme, sagt die ehemalige PNI-Direktorin Domingues. Und das sei erstaunlich: "Der Gelbfieber-Impfstoff besitzt tatsächlich ein ernsthaftes Risiko von Nebenwirkungen, aber bei seiner Einführung damals gab es keine Mobilisierung von Impfgegnern. Sogar Menschen aus Regionen, in denen das Gelbfieber gar nicht ausgebrochen war, wollten sich unbedingt impfen lassen."

Der Lebendimpfstoff gegen Gelbfieber ist wegen der Risiken nur für Menschen ohne Immunschwäche unter 60 Jahren empfohlen, auch Schwangere sollten nicht geimpft werden. Allerdings liegt die Gesamtletalität einer Gelbfieber-Infektion mit 10 bis 20 Prozent weitaus höher als bei COVID-19, und der Impfstoff wurde bereits 1937 entwickelt und ist entsprechend lange erprobt.

Regierung hemmt die Impfkampagne

Inzwischen hat die zuständige Behörde Anvisa auch Impfungen für Kinder zwischen fünf und elf Jahren zugelassen. Seit Anfang der Woche werden Kinder dort mit BioNTech/Pfizer geimpft. "Ideal wäre es, wenn das Gesundheitsministerium schnell genug Kinder-Impfdosen organisieren würde, um alle Kinder vor dem Beginn des Unterrichts zumindest einmal zu impfen", sagt Bravo, die auch Kinderärztin ist. Das neue Schuljahr beginnt in Brasilien nach den Sommerferien am 7. Februar.

Ob das Gesundheitsministerium diesem Aufruf folgt, ist fraglich. Im September hatte man dort versucht, die Impfung von Jugendlichen zu behindern, indem man die Sicherheit der Impfstoffe anzweifelte. Die Anvisa hatte sie bereits im Juni für die 12- bis 17-Jährigen freigegeben. "Es ist ganz allgemein sehr schwierig, Jugendliche zum Impfen zu bewegen", sagt Bravo. "Am besten erreicht man sie, wenn man zu ihnen geht und beispielsweise in Schulen impft. Aber das ist mit der COVID-Impfung nicht geschehen."

Aufgaben für 2022

Dass die Impfkampagne stagniert, liegt aber auch an der Größe des Landes. "Wir müssen Gebiete identifizieren, in denen bisher wenig geimpft wurde, um eine homogenere Abdeckung zu erreichen", sagt die ehemaligen Impfbeauftragte Domingues.

Zusätzliche Sorge bereitet die Omikron-Variante, die sich derzeit auch in Brasilien ausbreitet. "Wir müssen einheitlich und schnell impfen, um Ausbrüche neuer Varianten zu verhindern", sagt Infektiologin Bravo.

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