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Brasiliens schmutziger Wahlkampf - Angst vor Gewalt

Die Kandidaten Luiz Inacio Lula da Silva und Jair Bolsonaro bekämpfen sich mit "Fake News". Selbst die Kirchen bleiben von der Schmutzkampagne nicht verschont. Am Sonntag kommt es in Brasilien zur entscheidenden Stichwahl um das Präsidentenamt.

Verkaufsstand mit Lula-Fanartikeln in Rio de Janeiro, Brasilien. Foto: Adveniat/Tobias Käufer

Verkaufsstand mit Lula-Fanartikeln in Rio de Janeiro, Brasilien. Foto: Adveniat/Tobias Käufer

"Ich werde mich nicht ergeben," erklärte Roberto Jefferson am Sonntag in einem Video. Dann empfing der Politiker die Bundespolizisten, die ihn wegen Verstößen gegen Auflagen seines Hausarrestes ins Gefängnis bringen sollten, mit 20 Gewehrschüssen und zwei Granaten. Es war der vorläufige Höhepunkt des schmutzigsten und absurdesten Wahlkampfs, den Brasilien bisher erlebt hat. Und er lässt Böses befürchten: Werden die bewaffneten Anhänger von Präsident Jair Messias Bolsonaro auf eine Niederlage am nächsten Sonntag gegen den linken Altpräsidenten Luiz Inacio Lula da Silva ebenfalls mit Gewalt antworten?

Bolsonaro-Anhänger drohen mit Gewalt

Gegen Jefferson wird seit Monaten wegen seiner Verwicklung in Bolsonaros Fake-News-Kampagnen und wegen Aufrufen zum Sturz der demokratischen Ordnung ermittelt. In Videos hatte er sich mit Waffen gezeigt und dem Obersten Gericht gedroht, das angeblich Bolsonaro stürzen wolle. Nachdem das Wahlgericht in der vergangenen Woche Maßnahmen gegen die Flut an "Fake News" erlassen hatte, meldete sich Jefferson aus seinem Hausarrest und beschimpfte eine Richterin als "Prostituierte" und "Vagabundin". Als die Polizei ihn am Sonntagabend abführte, jubelten Anhänger von Bolsonaro ihrem Helden zu.

Brasilien gerät derzeit Stück für Stück aus den Fugen. Als der rechtsextreme Bolsonaro 2018 mit Hilfe von "Fake News" völlig überraschend zum Präsidenten gewählt wurde, sprachen viele Beobachter noch von einem Unfall der Geschichte. Die traumatische Abfolge von Korruptionsskandalen und Wirtschaftskrisen habe die Wähler verleitet, den Ex-Militär zu wählen. Doch auch nach fast 700.000 Corona-Toten und ausufernder Umweltzerstörung stimmten am 2. Oktober über 51 Millionen Brasilianer für Bolsonaro. Im Kongress gelang ihm gar ein Erdrutschsieg. Nun liegt er in Umfragen nur noch zwei bis vier Prozent hinter Lula.

Kardinal Scherer spricht von "Faschismus"

Es seien seltsame Zeiten, schrieb der Erzbischof von Sao Paulo, Kardinal Odilo Scherer, in der vergangenen Woche auf Twitter. Er spüre "den Aufstieg des Totalitarismus, ja des Faschismus." Zuvor hatten Anhänger von Bolsonaro vor der Basilika des Wallfahrtsortes Aparecida Pilger angepöbelt und Priester während der Gottesdienste beschimpft. "Wir erleben das Phänomen einer derartigen Ideologisierung, dass man nicht über Arme, über Ungerechtigkeit oder gegen Gewalt reden darf, ohne beschuldigt zu werden, parteiisch zu sein", sagte Scherer am Sonntag. Er war von Anhängern des Präsidenten als "Kommunist" beschimpft worden, ein Vorwurf, den Bolsonaro gegenüber allen seinen Gegnern macht.

Bolsonaro sägt bereits seit seinem Amtsantritt im Januar 2019 an Brasiliens Demokratie. Während er den Bürgern den Zugang zu Schusswaffen erleichterte, säte er stetig die Mär von den manipulierten Wahlurnen. So wolle das Oberste Gericht Lula zum Sieg verhelfen. Zu Beginn des Wahlkampfs behauptete er zudem, Lula wolle die evangelikalen Kirchen schließen und Abtreibung und Drogen legalisieren lassen. Seine Ehefrau Michelle spricht bei ihren Auftritten in evangelikalen Gemeinden gar vom Kampf des Guten gegen das Böse. Gott habe ihren Ehemann auserwählt, um Brasilien vor dem Satan Lula zu retten.

Fake News und Verschwörungstheorien

Einen verstörenden Auftritt legte zuletzt Bolsonaros ehemalige Familienministerin und evangelikale Pastorin Damares Alves hin. Vor einer Gemeinde berichtete sie von Babys und Kleinkindern, die von dunklen Mächten für den Zweck sexuellen Missbrauchs entführt und ins Ausland verkauft würden. Ihnen würden die Zähne ausgerissen, damit sie beim Oralsex nicht zubeißen können. Als Bolsonaro den Pädophilen das Handwerk legen wollte, habe sich "die Hölle gegen diesen Mann erhoben", so Alves. Sie bat die Zuhörer, für Bolsonaro zu stimmen, um Brasiliens Kinder zu retten.

Beweise für diese Geschichten gibt es keine, die zuständigen Behörden wissen von nichts. Doch unter Bolsonaros Anhängern scheint das egal zu sein. "Der derzeitige Kampf ist nicht politisch, sondern spirituell", erklärt Alves, es gelte, die andere Seite aufzuhalten, die das christliche Brasilien zerstören wolle. "Damares Alves instrumentalisiert den Glauben und die Religion von Tausenden von Brasilianern", analysiert Marco Aurelio de Carvalho, Rechtsanwalt von Lulas Arbeiterpartei PT. "Sie verbreitet Lügen und sät Panik unter ihren Zuhörern. Dafür muss sie belangt werden."

Brasilien ist gespalten

Unter den Evangelikalen, die ein Drittel der Bevölkerung stellen, kommen Alves' Geschichten an. Zwei von drei Evangelikalen wollen für Bolsonaro stimmen. Lula führt dagegen deutlich unter den Katholiken. Der Ex-Präsident, der Brasilien von 2003 bis 2010 regierte, hatte sich stets gegen den Einsatz von "Fake News" gewehrt. Doch angesichts der Langsamkeit des Wahlgerichts beim Löschen von falscher Nachrichten auf den Social-Media-Plattformen sind seine Sympathisanten nun zum Gegenantritt übergegangen. Bolsonaro sei ein Kannibale und Pädophiler, behaupten sie. Mittlerweile befürchtet laut Umfragen ein Drittel der Bürger, dass es rund um die Stichwahl am Sonntag zu Gewalt zwischen den verfeindeten Gruppen kommen könnte.

Autor: Thomas Milz, kna

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