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Brasiliens "Jahrhundert-Politiker" Lula da Silva

Linkskandidat Luiz Inacio Lula da Silva hat bei der Präsidentenwahl gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro triumphiert. Doch an der Frage, ob er korrupt oder aber ein Justizopfer ist, droht Brasilien zu zerbrechen.

Lula-Anhänger bei einer Anti-Bolsonaro-Demonstration in Rio de Janeiro, Oktober 2021. Foto: Adveniat/Tobias Käufer

Lula-Anhänger bei einer Anti-Bolsonaro-Demonstration in Rio de Janeiro, Oktober 2021. Foto: Adveniat/Tobias Käufer

Es war schon fast Mitternacht in Sao Paulo, doch Lula wollte einfach nicht gehen. Mehrmals verabschiedete sich der 77-Jährige am Sonntagabend von den Zehntausenden, die die Avenida Paulista im Herzen der Finanzmetropole in ein Meer aus roten Fahnen verwandelten. Lula genoss den Moment, auf den er so viele Jahre hingearbeitet hatte. "Die Emotionen gehen gerade mit mir durch", gestand er der Menge.

Ehemals Gewerkschaftsführer

Der dritte Wahlsieg - 50,9 Prozent gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro - ist etwas Besonderes. Kein anderer brasilianischer Politiker hat das zuvor geschafft. Lula, der Polit-Fuchs, das alte Schlachtross, der begnadete Redner - er war stets eine Ausnahmeerscheinung. Aus ärmsten Verhältnissen stammend, führte er Ende der 70er Jahre mutig den Kampf der Metallergewerkschaft gegen die Diktatur. Dafür landet er einen Monat im Gefängnis.

Danach gründet er aus Sozialbewegungen und katholischen Gruppen die Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT), bis heute ein bunter Haufen verschiedenster Strömungen. Doch in ihrer Organisationsmacht sucht sie ihresgleichen in Lateinamerika. Dreimal scheitert der als "Kommunist" verschriene Lula bei Präsidentschaftswahlen: 1989, 1994 und 1998.

Lula führte Millionen aus der Armut

Schließlich verordnet er der PT eine konservative Wirtschaftspolitik - und wird prompt 2002 gewählt. Mit Sozialprogrammen wie "Bolsa Familia" (Familienstipendium) gelingt es ihm, Millionen Armen ein würdiges Leben zu bieten. Mit strikten Kontrollen reduziert er zudem die Rodung des Amazonaswaldes und macht Brasilien zum Klima-Vorbild. Hohe Rohstoffpreise treiben das Land zu einem Wirtschaftsboom und garantierten Lula seine Wiederwahl 2006. In seinem letzten Jahr als Präsident wächst Brasilien 7,5 Prozent.

Damals sprach man von einem Wirtschaftswunder, und Barack Obama sagte anerkennend: "Du bist der Beste, Lula". Eigentlich habe er überhaupt nicht mehr zu dieser Wahl 2022 antreten müssen, sagte Lula in den vergangenen Wochen mehrmals. "Als ich 2010 als Präsident abtrat, hatte ich Zustimmungswerte von 87 Prozent. Ich wollte mich eigentlich darauf ausruhen und keine Politik mehr machen."

Gefängnis wegen Korruption und Geldwäsche

Doch einmal im Ruhestand, sah ihn die Justiz im Zentrum eines gigantischen Korruptionsskandals, in dessen Turbulenzen die von ihm als Nachfolgerin aufgebaute Dilma Rousseff 2016 durch ein Impeachment gestürzt wurde. 2018 musste Lula schließlich wegen Korruption und Geldwäsche ins Gefängnis. Er stelle sich der Justiz, weil er beweisen wolle, dass er unschuldig sei, sagte er.

Doch das glaubte damals kaum jemand. "Lula Ladrao", "Lula, der Dieb" schimpfte man ihn - und wählte Ende 2018 seinen Erzfeind Bolsonaro ins Präsidentenamt, der seinen Wahlkampf auf der Anti-Lula-Stimmung aufgebaut hatte. 580 Tage saß Lula in Haft; es sah nach dem Ende seiner Karriere aus. Dazu kamen persönliche Schicksalsschläge wie der Tod seiner Frau, seines Bruders und seines kleinen Enkels.

Derweil zerfledderte die Presse seinen Ruf, während die von ihm aufgebauten Staatsbetriebe auseinanderfielen. Brasilien schlitterte in die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte, und viele Bürger machten Lula und seine mutmaßliche Korruption dafür verantwortlich. Sein engster Freundeskreis sorgte sich, wie er die Schicksalsschläge verarbeiten würde.

Freispruch und Kandidatur

Als er im November 2019 aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichts freikam, gab er sich versöhnlich, aber kämpferisch entschlossen. Hacker hatten auf den Handys der Staatsanwälte und seines Richters Gespräche gefunden, die Manipulationen bei seinen Prozessen belegten. Man habe ihn aus dem Rennen um die Präsidentschaft 2018 ziehen wollen, wurde klar. Das Oberste Gericht annullierte alle Prozesse gegen ihn. Er ist jetzt wieder ein unschuldiger Mann.

Doch noch immer halten ihn viele Brasilianer für korrupt. Dass er frei ist, habe er nur ihm freundlich gestimmten Richtern am Obersten Gericht zu verdanken, glauben sie. Doch Lula zeigte Nehmerqualitäten und kündigte seine Kandidatur für 2022 an. Er wolle sich dem Volk stellen; es solle entscheiden, ob er schuldig ist.

Dass er die Wahl zur Wiederherstellung seiner Biografie benutze, stieß auf Unmut auch in der eigenen Partei. Das verstärke die Polarisierung der Gesellschaft und mache ihn zu einem leichten Ziel für Bolsonaro, warnte man. Und so kam es: die Schuldfrage dominierte den Wahlkampf. Mit fast religiöser Verbissenheit wird die Debatte um seine Schuld auf beiden Seiten immer weitergeführt.

Brasilien bleibt gespalten

Dass Lula nun mit 1,8 Prozentpunkten Vorsprung gesiegt hat, wird die Wut vieler Brasilianer auf ihn nicht lindern. Für ihn selbst aber ist es ein Beweis, dass die Mehrheit des Volkes an seine Unschuld glaube. Dass die unterlegenen 49,1 Prozent jetzt Ruhe geben, ist allerdings unwahrscheinlich. Solange Lula in der Öffentlichkeit steht, wird er eine Reizfigur bleiben.

Autor: Thomas Milz, Brasilien (kna)

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