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Brasilien steht vor der Corona-Katastrophe

16.800 Tote, und die Zahl steigt schnell. Präsident Bolsonaro weigert sich dennoch, den Kampf gegen das Coronavirus aufzunehmen. Vom Chaos, das er anrichtet, könnte er sogar profitieren

16.800 Tote, und die Zahl steigt schnell. Präsident Bolsonaro weigert sich dennoch, den Kampf gegen das Coronavirus aufzunehmen. Vom Chaos, das er anrichtet, könnte er sogar profitieren. Aus Rio de Janeiro, Thomas Milz.

Am Wochenende herrschte in Rio de Janeiros Ausgehviertel Lapa schon wieder Partystimmung unter jungen Leuten. Und entlang der berühmten Strandpromenaden genoss so mancher sein abendliches Bier, meist ohne die von der Stadt vorgeschriebene Schutzmaske. Nach zwei Monaten voller Einschränkungen nehmen es viele Bewohner der gutsituierten Viertel deutlich lockerer.

Angst haben eher die Menschen in den Armenvierteln, wo das Virus grassiert. "Mundschutz auf und stets die Hände mit einem Desinfektionsmittel säubern, dann passiert nichts", hofft der Angestellte eines kleinen Lebensmittelgeschäfts, der per Fahrrad die Kunden in Quarantäne beliefert. Seine Frau, die sonst bei wohlhabenden Familien putzt, bleibt seit Monaten vorsichtshalber daheim. Man komme kaum über die Runden, sagt ihr Mann.

Das Coronavirus trifft besonders die Armen, die trotz der Gefahr nicht einfach zuhause bleiben können und auf die im Notfall keine moderne Privatklinik wartet.

Mit 254.220 Infektionen und über 16.800 Toten hat Brasilien in der globalen Corona-Statistik bereits Großbritannien überholt. Dabei dürfte die tatsächliche Todeszahl mehr als doppelt, die Dunkelziffer der Infizierten gar bis zu fünfzehn Mal so hoch sein. Wegen fehlender Tests tappen alle Experten im Dunkeln. Und weil vielerorts die öffentlichen Krankenhäuser überfüllt sind, sterben immer mehr Menschen daheim, ohne je getestet worden zu sein.

Dabei sind die offiziellen Zahlen schon erschreckend genug. Täglich werden derzeit bis zu 15.000 Neuinfektionen und über 800 Tote gemeldet. Die Kurven zeigen steil nach oben, ein Abflachen ist nicht in Sicht. Die Bilder von Massengräbern in Manaus und São Paulo gehen um die Welt. Im Mittelpunkt der Medienberichterstattung steht Präsident Jair Bolsonaro, der sich wenig Sorgen um die sterbenden Bürger zu machen scheint.

Von der "kleinen Grippe" zum Hotspot

Bolsonaro hält das Virus trotzdem für eine "kleine Grippe", hinter der "Hysterie" vermutet er China. Man wolle ihm und US-Präsident Donald Trump schaden, glaubt er. Demonstrativ besuchte er Anfang März seinen US-amerikanischen Kollegen in Florida. Nach der Rückkehr wurden mehr als zwanzig Delegationsmitglieder positiv getestet, ein PR-Desaster für Bolsonaro.

Bewusst missachtet er die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und seinem eigenen Gesundheitsministerium empfohlenen Distanzregeln. Demonstrativ macht er Selfies und schüttelt die Hände seiner Fans, die jeden Sonntag vor dem Präsidentenpalast für ein Ende der Corona-Maßnahmen protestieren. Er sei früher Athlet gewesen, das Virus könne ihm nichts anhaben, so der ehemalige Fallschirmjäger.

Dazu kommen in den größeren Städten des Landes Autokorsos von Bolsonaros Anhängern. Sie kritisieren offen die Gouverneure der Bundesstaaten und die Bürgermeister, die solche Shopping-Center und Geschäfte geschlossen haben, die nicht überlebenswichtig sind. Während seine Gegner die steigenden Opferzahlen Jair Messias Bolsonaro ankreiden, kommentierte der läppisch: "Was soll ich denn tun? Ich heiße zwar Messias, Wunder vollbringen kann ich aber nicht."

Gebete und Malariamittel

Trotzdem rief er seine Landsleute zu Gebeten gegen das Virus auf. Zudem fordert er genau wie Trump den Einsatz des Malariamittels Chloroquin. Die Labore der brasilianischen Streitkräfte wies er an, Millionen der Tabletten herzustellen. Nachdem sich sein Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta weigerte, die Anwendung des umstrittenen Mittels zu genehmigen, musste der Arzt Mitte April seinen Posten räumen. Doch auch Nachfolger Nelson Teich, ein Onkologe, weigerte sich, Chloroquin für COVID-19-Patienten vorzuschreiben. Teich nahm am Freitag nach 28 Tagen seinen Hut.

Bisher konnte eine Wirkung des Medikaments gegen COVID-19 nicht nachgewiesen werden. Bei vielen Patienten führt es stattdessen zu Herzrhythmusstörungen. Ärzte vermuten, dass hunderte Brasilianer in den vergangenen Wochen daheim starben, weil sie sich selbst ohne ärztliche Aufsicht mit Chloroquin behandelten. Trotzdem soll das Gesundheitsministerium noch in dieser Woche die Behandlung mit dem Mittel zur offiziellen Politik erklären.

Bolsonaro gegen Bundesstaaten

Die Gesundheitsminister Mandetta und Teich waren auch deshalb in Ungnade gefallen, weil sie die von Gouverneuren und Bürgermeistern angeordneten Maßnahmen des Social Distancing unterstützten. Bolsonaro will dagegen "fast alles wieder öffnen", um Brasiliens Wirtschaft zu retten. Man möge ihm bitte nicht die Millionen neuer Arbeitsloser in die Schuhe schieben, so der Präsident. Die gingen auf das Konto der Lokalregierungen.

Doch Bolsonaro sind die Hände gebunden. Denn den Landesregierungen und Bürgermeistern obliegt es, über Schritte wie den Lockdown zu entscheiden. Da in einigen Regionen die Krankenhäuser bereits überlastet sind, verkünden immer mehr Lokalregierungen derzeit drastische Maßnahmen. In einigen Stadtvierteln Rio de Janeiros wurde bereits der Lockdown ausgerufen, im bevölkerungsreichsten Bundesstaat São Paulo, der bereits mehr Todesopfer zählt als China, stehe man kurz davor, so die Landesregierung. Noch dramatischer ist die Situation im Norden und Nordosten, wo die Millionenstädte Belém, Manaus und Fortaleza über keine freien Krankenhausbetten mehr verfügen.

Finanzspritzen gegen die Rezession

Auf Drängen des Kongresses brachte die Regierung Hilfszahlungen für die informelle Arbeiter sowie alleinerziehende Mütter auf den Weg. Für drei Monate sollen nun jeweils rund 100 Euro ausbezahlt werden. Bis zu 50 Millionen Personen, rund jeder vierte Brasilianer, haben Anspruch auf die Hilfen. Der Ansturm ist riesig. Die chaotische Auszahlung der ersten Rate sorgt seit Wochen landesweit für dichtgedrängte Schlangen vor den Bankfilialen - und damit wohl für viele Neuinfektionen.

Doch die drohende Rezession könnte den in Umfragen abrutschenden Bolsonaro womöglich noch retten. Dafür müsste es ihm nur gelingen, den Lokalregierungen die Schuld für die wirtschaftliche Misere in die Schuhe zu schieben.

Autor: Thoams Milz, Quelle: Deutsche Welle 

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