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Brasilien: Im Drogenkrieg rüsten beide Seiten auf

Nach einem blutigen Polizeieinsatz in Rio de Janeiro haben Tausende gegen Polizeigewalt demonstriert. Die 28 Toten sind das schaurige Resultat einer Gewaltspirale, die sich in ganz Lateinamerika dreht.

Vor den von der Drogen-Mafia kontrollierten Favelas in Brasilien patroullieren Militär-Polizisten. Foto (Symbolbild): Adveniat/Jürgen Escher

Vor den von der Drogen-Mafia kontrollierten Favelas in Brasilien patroullieren Militär-Polizisten. Foto (Symbolbild): Adveniat/Jürgen Escher

Die Operation Exceptis war der tödlichste Polizeieinsatz in der Geschichte von Rio de Janeiro: 27 Verdächtige und ein Beamter wurden erschossen, als die Polizei am Donnerstag mit einem Großaufgebot die Favela Jacarezinho betrat. Ziel war es, 21 Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder des Roten Kommandos (Comando Vermelho) auszuführen, die Minderjährige für das mächtigste Drogenkartell der Stadt rekrutiert haben sollen.

Laut Polizei gingen die Beamten streng nach Protokoll vor. Anwohner hingegen berichten von regelrechten Exekutionen. Dass der Einsatz auf die eine oder andere Weise außer Kontrolle geriet, scheint indes offensichtlich. Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben eine unabhängige Untersuchung gefordert. Auch ranghohe brasilianische Juristen haben die Justiz des Bundesstaates Rio de Janeiro aufgefordert, den Vorwürfen nachzugehen. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft dort Ermittlungen angekündigt.

Menetekel der Gewaltspirale

Die tödliche Schießerei in Jacarezinho ist kein isoliertes Ereignis, sondern Teil eines innerstaatlichen Konflikts, der nicht nur in Brasilien ausgefochten wird. In vielen Gegenden Lateinamerikas, vor allem entlang der Routen aus den Drogenanbaugebieten in die Konsumzentren in Nordamerika, Europa und Südamerika kämpfen staatliche Einheiten und organisierte Verbrecherbanden gegeneinander.

Den "Krieg gegen die Drogen" rief 1972 US-Präsident Richard Nixon aus und veranlasste damit auch viele lateinamerikanische Staaten dazu, teils mit US-Unterstützung gewaltsam gegen Koka- und Cannabisbauern sowie Drogenhändler vorzugehen. Seither führen staatliche und kriminelle Organisationen Krieg gegeneinander. Und seit fast 50 Jahren leiden Menschen - unbeteiligte und beteiligte - unter Gewalt und Gegengewalt, die sich gegenseitig befeuern.

Obwohl die Strategie bisher überall gescheitert sei, sagt der brasilianische Strafrechtsanwalt Guilherme Suguimori Santos, halte Brasilien daran fest. Dabei hätten mittlerweile in den USA selbst viele Bundesstaaten mit der Legalisierung von Cannabis einen anderen Weg eingeschlagen.

Gestörtes Verhältnis zwischen Staat und Bürgern

Die Proteste gegen Polizeigewalt, die als Reaktion auf die Ereignisse in Jacarezinho stattfanden, bildeten derweil keineswegs einen Konsens ab, glaubt Rechtsanwalt Suguimori. "Ein großer Teil der brasilianischen Bevölkerung sieht überhaupt kein Problem in der großen Zahl von Toten bei dem Einsatz in Jacarezinho." Sie verträten den alten Spruch: "Nur ein toter Bandit ist ein guter Bandit."

Suguimori gehört nicht zu ihnen. Für ihn ist dieses Vorgehen der völlig falsche Ansatz: "Nichts rechtfertigt die Militarisierung des Verhältnisses zwischen Staat und Rauschmitteln." Damit meint er nicht nur den Widerspruch, der in der Legalität anderer abhängig machender Substanzen wie Alkohol und Tabak liegt.

Der Krieg erzeuge riesige soziale und politische Kosten - vor allem in den betroffenen Vierteln: "Der Staat behandelt diese Gemeinden wie Kriegsgegner und ein Gutteil der Menschen dort beginnt dann, auch den Staat als Feind wahrzunehmen." Dies gelte nicht nur für Bandenmitglieder, sondern auch für die Unbeteiligten, die zwischen die Fronten geraten. Daraus, erklärt Suguimori, ergebe sich ein Teufelskreis: Kinder wachsen in dem Bewusstsein auf, dass die Polizei eine Gefahr darstellt und dass Drogenbanden ihnen Schutz davor bieten können.

Ein alternativer Ansatz ist gescheitert

Genau diesen Teufelskreis zu durchbrechen, war eines der Ziele der sogenannten Friedenspolizei UPP (Unidade de Polícia Pacificadora) in Rio de Janeiro. Die 2008 neu geschaffene Polizeieinheit sollte vor der Weltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016 vor allem die zentraleren Favelas "befrieden". Die Staatsmacht spielt in diesen Armenvierteln keine Rolle, kontrolliert werden sie von Drogenbanden oder erpresserischen Milizen. Es gilt das "Gesetz des Hügels", weil Favelas in Rio meist auf den zahlreichen Anhöhen der Stadt liegen.

Mit der UPP wurden erstmals Wachen mitten in diesen Gebieten installiert. Ihr Auftreten gegenüber den Bewohnern sollte dabei nicht autoritär, sondern kooperativ sein. In mehreren Favelas wurde die UPP von sozialen Organisationen unterstützt. Sie betrieben zum Beispiel Gemeindezentren, um Jugendlichen Freizeitangebote anzubieten und sie von eben solchen Anwerbern fernzuhalten, wie sie am Donnerstag in Jacarezinho verhaftet werden sollten.

Das Projekt lief gut an, pünktlich zu den Großveranstaltungen hatten die UPP-Einheiten die Lage in den stadionnahen Vierteln tatsächlich im Griff. Allerdings wurden die Banden lediglich vertrieben. Den Drogenhandel kontrollierten sie fortan aus der Peripherie der Metropole, wo daraufhin die Mordraten stiegen, während sie in der Stadt zeitweise sanken. Doch in vielen Favelas gingen die UPP-Beamten schon bald ähnlich konfrontativ vor wie die anderen Polizeieinheiten. Im Zuge einer "Umstrukturierung" Ende der 2010er Jahre wurden viele Wachen geschlossen, auch die in Jacarezinho.

Drogenbanden konkurrieren mit dem Staat

"Leider ist die UPP krachend gescheitert", urteilt der Anwalt Suguimori. Die Idee an sich sei gut gewesen. Dass sie in der Praxis nicht funktioniert habe, führt er darauf zurück, dass die Drogenbanden den Bewohnern der Armenviertel vieles böten, das ihnen Staat und legale Welt versagten - insbesondere bezahlte Arbeit und ein soziales Netz.

Teilweise haben die Banden sogar für Sicherheit gesorgt: Studien haben gezeigt, dass zwar die Zahl der tödlichen Schießereien mit der UPP-Präsenz abnahmen. Dafür wurden aber mehr nicht tödliche Gewalttaten und Eigentumsdelikte registriert. Ein Grund war wohl, dass die Opfer solche Taten nun häufiger zur Anzeige brachten. Die Studienautoren gehen aber auch davon aus, dass die Vorfälle unter dem rigiden Regime der Kartelle tatsächlich seltener waren.

"Polizeiliche Strukturen in solchen Gegenden ergeben nur Sinn, wenn sie mit langfristigen sozialen Verbesserungen einhergehen", meint deshalb Anwalt Suguimori. Um den Drogenbanden den Nachwuchs zu entziehen, müsse der Staat das Vakuum füllen, das er dort über Jahrzehnte habe entstehen lassen: "Das organisierte Verbrechen hat nur deshalb so viel Platz, weil der Staat fürchterlich gescheitert ist bei seiner Aufgabe, den Menschen eine minimale Lebensgrundlage zu schaffen."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Jan D. Walter

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