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Brasilien: Die Idee vom "Straight Pride Day"

In Cuiabá hat der Stadtrat für einen jährlichen "Tag des Hetero-Stolzes" gestimmt - denn der LGBTQ-Aktivismus nehme angeblich überhand. Ähnliche Projekte gibt es auch in anderen Städten und Bundesstaaten Brasiliens.

Wer wen liebt, ist in Brasilien derzeit ein Politikum. Foto: Escher/Adveniat

Mit 15 Stimmen, acht Enthaltungen und nur einer Gegenstimme hat der Stadtrat von Cuiabá wenige Tage vor Weihnachten dafür gestimmt, einen "Tag des Hetero-Stolzes" einzuführen. Kommt das Vorhaben auch durch eine zweite Lesung und wird vom Bürgermeister abgesegnet, dann hat die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso bald tatsächlich einen Extra-Feiertag im Jahr, um die sexuelle Orientierung hin zum anderen Geschlecht zu feiern.

Die Idee dazu kam vom konservativen Stadtrat und Oberstleutnant Marcos Paccola, der zwar versicherte, er habe "absolut nichts gegen Homosexuelle" und kenne sogar Menschen in seinem engen Umfeld, die homosexuell seien.

Aber mittlerweile sei der LGBTQ-Aktivismus sehr stark und setze junge Menschen unter Druck, sich "bisexuell zu verhalten". Im Rahmen dieses "kulturellen Marxismus" sei das "konservative Familienmodell, das in der Bibel steht", in Gefahr. Der "Tag des Hetero-Stolzes" setze ein Zeichen, dass alle sexuellen Optionen respektiert und frei wählbar sein müssten.

Gegen welche Diskriminierung müssen sich Heterosexuelle erheben?

Was viele Konservative in Brasilien als gerechtfertigtes Pendant zum nationalen und zum internationalen Gay Pride Tag sehen, bezeichneten andere in den sozialen Netzwerken als Witz oder Ignoranz.

Auch die Vorsitzende der ABGLT, der größten LGBTQ-Organisation in Brasilien, ist empört. "Gay-Pride-Veranstaltungen dienen dazu, diese Community sichtbarer zu machen. Denn unsere Existenzberechtigung wird oft hinterfragt, uns wird eingeredet, dass wir sündigen und eine Schande sind", sagt Symmy Larrat. Heterosexuelle dagegen würden nicht wegen ihrer Sexualität ihren Job verlieren, bedroht oder sogar umgebracht.

Der bisexuelle brasilianische Influencer Klébio Damas erklärt einen solchen Tag ebenfalls als "komplett überflüssig" und fügt hinzu: "Viele Leute glauben, dass LGBTQ-Menschen den Raum der Heteros einnehmen wollen. Aber so ist es nicht, wir wollen einfach nur unseren eigenen Raum."

Auch die Schauspielerin Ana Hikari, die sich 2020 als bisexuell geoutet hat, kann die von Paccola beklagte Bedrohung heterosexueller Lebensweisen nicht ernst nehmen: "Man kann nicht diskriminiert werden, wenn man Teil einer hegemonialen Gruppe ist."

Initiativen in Rio de Janeiro, Paraíba und Goiânia

Zwar hat der Bürgermeister Cuiabás, Emanuel Pinheiro, bereits angekündigt, sein Veto gegen den "Straight Pride Day" einlegen zu wollen. Doch ein solcher Tag ist längst nicht nur dort in Planung. Die Idee, dass auch Heterosexuelle einen eigenen Jahrestag brauchen, um sich zu feiern, gab es in der brasilianischen Politiklandschaft schon zuvor - und sie wurde zuletzt wieder mehrfach aus der Mottenkiste geholt.

Schon 2011 wurde in São Paulo ein "Straight Pride Day" in Betracht gezogen, allerdings kippte der damalige Bürgermeister Gilberto Kassab das Vorhaben nach viel negativer Publicity.

Anfang November 2021 schlug die Bolsonaro-nahe Landtagsabgeordnete Alana Passos im Bundesstaat Rio de Janeiro einen solchen Tag vor. Und im Bundesstaat Paraíba ist, ähnlich wie in Cuiabá, ein entsprechendes Vorhaben schon in erster Lesung durchgekommen. Ein Stadtrat in Goiânia, der Hauptstadt des Bundesstaates Goiás, schlug dem Beispiel Cuiabás folgend Ende Dezember ebenfalls einen "Tag des Hetero-Stolzes" vor.

Zeitlich fällt das Wiederaufgreifen dieser Idee in die Präsidentschaft Jair Bolsonaros - wohl kein Zufall. Denn auch wenn er sich bislang nicht zur Möglichkeit eines solchen Jahrestags, gegebenenfalls auch auf nationaler Ebene, geäußert hat: Bekannt für homophobe Ansichten ist er allemal.

So sagte er etwa einmal in einem Interview, er ziehe es vor, sein Sohn sterbe bei einem Autounfall, als dass er homosexuell sei. Der Rechtspopulist hat zudem versucht, Filmen mit LGBTQ-Themen die öffentliche Finanzierung zu entziehen und angekündigt, Erwähnungen von Homosexualität aus Schulbüchern zu streichen.

"Kein vergleichbares System gegen Heterosexualität"

Der kanadische Sozialwissenschaftler Amin Ghaziani forscht schon lange zu Sexualität in der Gesellschaft. In einem Artikel der Los Angeles Times schreibt er, dass Homosexuellen zwar mittlerweile oft "formelle Rechte" zugestanden würden. Doch entgegen der eigenen Selbstwahrnehmung hätten große Teile der Gesellschaft trotzdem noch Vorurteile; den Kuss eines homosexuellen Paares in der Öffentlichkeit zum Beispiel würden viele dann schon wieder nicht sehen wollen. Und manche fühlten sich eben auch regelrecht bedroht.

Ghaziani erklärt: "Die Behauptung, man bräuchte einen Tag des Hetero-Stolzes, ist nicht überzeugend, weil es kein [mit Homophobie, Anm. d. Red.] vergleichbares kulturelles System gibt, das sich gegen Heterosexualität richtet."

"Straight Pride"-Ideen zeugen dem Professor der University of British Columbia zufolge von "einem erschreckenden Mangel an Verständnis dafür, dass Heterosexismus [die Annahme, Heterosexualität sei die überlegene oder "natürliche" Form menschlicher Sexualität, Anm. d. Red.] und Homophobie institutionelle Systeme der Ungleichheit sind, die einseitig in eine Richtung wirken".

Brasilien: Gefährliches Land für Transpersonen

In Brasilien tritt die Diskrepanz zwischen einem angeblichen "heterophoben Massenprojekt zur Zerstörung der Mentalität unserer Kinder" - so Alana Passos, die den Tag des Hetero-Stolzes in Rio de Janeiro vorantreibt - und einer in Wahrheit in großen Teilen tiefreligiösen und transfeindlichen Gesellschaft besonders deutlich zutage.

So hielt Brasilien im Jahr 2020 wieder einmal den traurigen Rekord, das tödlichste Land für Trans-Personen zu sein. 184 Morde zählte die NGO "Associação Nacional de Travestis e Transexuais" (ANTRA). Für 2021 liegen erst Zahlen für die erste Jahreshälfte vor; da waren es auch schon 89 Morde.

Das Umfrageinstitut Datafolha erhob kürzlich: 41 Prozent finden, homosexuelle Paare in TV-Werbespots sollten verboten sein - um Kinder zu schützen. Die Angst, dass gerade Kinder und Jugendliche durch nicht-heterosexuelles Verhalten auch zu solchem animiert werden könnten, scheint tief verwurzelt zu sein.

"Homophobe Narrative tief verankert"

Derartige Narrative werden laut Symmy Larrat von ANTRA oft unter dem Deckmantel der Religion verbreitet und seien tief in der Gesellschaft verankert. Über Gesetze und Gerichtsurteile könne man deshalb nur begrenzt etwas verändern. Nichtsdestotrotz müsse ein "Straight Pride Day" verboten werden. Seit 2019 sind Homophobie und Transphobie in Brasilien offiziell als Verbrechen eingestuft, und in diese Kategorie fällt nach Ansicht von Larrat auch ein solcher Tag.

Ob es der "Tag des Hetero-Stolzes" in irgendeiner brasilianischen Stadt oder in einem Bundesstaat durch alle Instanzen schafft, ist ohnehin unklar. Was in jedem Fall bleiben wird, sind die dadurch einmal mehr sichtbar gewordenen gesellschaftlichen Gräben.

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