Brasilien: Bolsonaro will Evangelikalen als Obersten Richter
Brasiliens Präsident Bolsonaro hatte seinen Anhängern einen ultra-evangelikalen Verfassungsrichter versprochen. Das passt seinen wichtigsten Verbündeten im Kongress aber überhaupt nicht - und seinem Sohn auch nicht.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro will einen evangelikalen Prediger zum Verfassungsrichter ernennen. Foto: 27/07/2021 Cerimônia de assinatura, Palácio do Planalto, Alan Santos/PR, CC BY 4.0, Zuschnitt
Er wisse, dass der Staat laizistisch sei, sagte der brasilianische Präsident Jair Messias Bolsonaro am 10. Juli 2019 vor dem Kongress. "Aber wir sind Christen! Ja, sogar schrecklich christlich!" Deshalb werde er einen der beiden freiwerdenden Richterposten beim Obersten Gericht (STF) mit einem "schrecklich evangelikalen" Kandidaten besetzen. Es war ein Geschenk an seine evangelikalen Wähler, die ihn im Herbst 2018 zum Präsidenten machten.
Das Supremo Tribunal Federal (STF) - eine Mischung aus deutschem Verfassungsgericht und amerikanischem Supreme Court - hat als oberste, vierte Instanz das letzte Wort. Mit Erreichen des 75. Lebensjahres müssen die Richter ihr Amt niederlegen. Der Präsident schlägt den Nachfolger vor, der Senat muss diesen offiziell bestätigen.
Rund ein Drittel der Brasilianer sind evangelikal
Mit ihren religiösen Überzeugungen halten sich die Richter und Richterinnen traditionell zurück. Acht von ihnen sind katholisch, zwei jüdisch, bei einer Richterin weiß man nichts Genaues. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben die Evangelikalen in Brasilien immer mehr Zulauf erhalten. Rund ein Drittel der Brasilianer gilt im einst katholisch dominierten Land mittlerweile als evangelikal.
Der Katholik Bolsonaro hatte sich 2016 von einem evangelikalen Pastor im Jordan taufen lassen. Seitdem begleitet er medienwirksam seine evangelikale Ehefrau zu den Kulten. Den Wählern gefiel das. Zwei Drittel der Evangelikalen wählten Bolsonaro 2018, und im Gegenzug forderten sie von ihm endlich einen Vertreter im STF.
Evangelikale Kirchen sind Wirtschaftsunternehmen
Auf ihrem Wunschzettel steht verpflichtender Religionsunterricht in Schulen, und sie sind gegen Abtreibung, die Freigabe von Drogen und gleichgeschlechtliche Ehen. Gleichzeitig wollen sie Steuerbefreiungen für Kirchen und Tempel, die heutzutage wie moderne Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Während der Pandemie hatten evangelikale Politiker vergeblich versucht, die temporäre Schließung der Gotteshäuser vor dem STF anzufechten - bedeutete dies doch hohe Einnahmeverluste.
Im Juli 2021 schlug Bolsonaro als Nachfolger für den pensionierten Marco Aurélio Mello Bundesanwalt Andre Mendonca vor, der zuvor bereits Justizminister war. Der 48-Jährige ist gleichzeitig Prediger in der evangelikalen "Igreja Presbiteriana Esperanca" in Brasilia. Doch sowohl als Bundesanwalt wie als Justizminister hatte Mendonca mehrmals seine Kompetenzen überschritten, um Bolsonaro zu dienen. So ließ er geheime Listen und Dossiers von Kritikern des Präsidenten erstellen; als Basis dienten Spitzelgesetze aus der Militärdiktatur (1964-85). Das STF beendete dies.
Bolsonaros Sohn befürchtet Aufhebung von Immunität
Bisher hat Senatspräsident Rodrigo Pacheco die Anhörung Mendoncas nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Denn zu heftig hatte Bolsonaro in seinen Auftritten vor Anhängern gegen den Kongress und das Oberste Gericht verbal geschossen, den Richtern gar mit einer Militärintervention und Absetzung gedroht. Zudem bangen Kongressmitglieder wohl, dass Mendonca bei Themen wie Korruptionsbekämpfung zu aktiv werden könnte.
Ähnliches soll auch Präsidentensohn Flavio Bolsonaro befürchten, der in juristischen Schwierigkeiten steckt. Das STF befasst sich demnächst mit der Aufhebung der Immunität des Senators. Flavio soll sich für die Ernennung von Humberto Martins einsetzen, dem Präsidenten des Obersten Justizgerichtshofes (STJ), der Instanz unter dem STF. Martins ist auch evangelikal, aber gilt als weniger radikal als Mendonca. Und steht dem in der Bredouille steckenden Flavio nahe.
Ernennung eines Evangelikalen könnte zum Bumerang werden
Doch im Kongress, insbesondere in den Zentrumsparteien, will man jemand, der die Strafverfolgung von Abgeordneten nicht allzu ernst nimmt. Als Favorit gilt der bisherige Generalstaatsanwalt Augusto Aras, der bereits Bolsonaro mehrfach vor Ärger mit der Justiz bewahrte. Da Bolsonaro auf die Zentrumsparteien angewiesen ist, um politisch zu überleben, wäre er einer Kandidatur von Aras nicht abgeneigt.
Doch damit würde er sein Versprechen gegenüber den Evangelikalen brechen. So muss sich der Präsident entscheiden, welchen Verbündeten er vor den Kopf stößt. Es wäre ihm wohl am liebsten, wenn der Kongress sich weigern würde, einen "schrecklich evangelikalen" Kandidaten zu ernennen. "Ich habe es immerhin versucht" wäre dann seine vertröstende Botschaft an die Evangelikalen.
