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Brand im Nationalmuseum: Retten, was zu retten ist

Am 2. September 2018 zerstörte ein Großbrand das Nationalmuseum in Rio de Janeiro. Ein Großteil der einzigartigen Sammlungen ist für immer verloren. Aber zum ersten Jahrestag der Katastrophe herrscht wieder Optimismus.

Detail des Nationalmuseums in Rio de Janeiro, Brasilien, das am 2. September 2018 ausbrannte. Foto (2007): São Critóvão, Rio de Janeiro, Sheila TostesCC BY 4.0

In den letzten zwölf Monaten hat Murilo Bastos hauptsächlich Schutt im ausgebrannten São-Cristóvão-Palast, das Hauptgebäude des Nationalmuseums in Rio de Janeiro, gesiebt. Eigentlich beschäftigt sich der Bioarchäologe mit Biologischer Anthropologie - also mit Knochen und Skeletten, darunter dem mit 12.000 Jahren ältesten menschlichen Fossil ganz Amerikas, bekannt als Luzia. Doch seine wissenschaftliche Karriere ruht derzeit: Er versucht zu retten, was zu retten ist.

Luzias zerbrochenen Schädel fand er nach langem Suchen in der Ruine des ehemaligen Königspalastes wieder. "Der Schädel war vorher schon zerbrechlich gewesen, aber durch das Feuer war er auseinander gebrochen. "Wir können ihn ja virtuell wieder zusammensetzen, um Luzia wieder ein menschliches Antlitz zu gebe", so Bastos gegenüber der Deutschen Welle. Ein weiterer Höhepunkt der Suchaktion sei der Fund der Amulette der ägyptischen Priesterin Sha-Amun-en-su gewesen. Als der einst dem brasilianischen Kaiser Dom Pedro II. geschenkte Sarkophag, versiegelt vor fast drei Jahrtausenden, mitsamt der Mumie verbrannte, kamen die Grabbeigaben zum Vorschein. "Diese Amulette zu finden war sehr berührend", so Bastos.

Vergangenheit ausgelöscht

Bastos bezeichnet sich als Optimisten. Aber die Verluste sind groß. Er erstellte gerade das Inventar der Sammlungen, viele Daten hatte er noch nicht gesichert, als Computer und Knochen wegen eines Kurzschlusses in einer Klimaanlage in Flammen aufgingen. "Das bedeutet den Verlust sehr wichtiger Informationen über unsere Vergangenheit - ein Verlust, der nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Geschichte unserer Vergangenheit wurde vom Brand ausgelöscht."

Auch Luciana Witovisk, Professorin für Paläobotanik, hat durch den Brand Verluste zu beklagen. Aber den fossilen Baumfarn aus dem 19. Jahrhundert, der ihr am meisten am Herzen lag, fand sie ganz unten in einem Schrank inmitten der Trümmer. Im Schrank sei alles zerstört gewesen, "außer dem Psaronius Brasiliensis. Ich war außer mir vor Freude."Am Abend des Brandes hinderte sie die Polizei daran, in den brennenden Palast zu rennen, aus dem Kollegen gerade noch einige Stücke der Sammlungen retten konnten. "Ich habe mein Labor und mein Büro verloren, meine laufenden Untersuchungen sowie die paläobotanische Sammlung, deren Kuratorin ich war."

Man sei zum Zeitpunkt des Brandes gerade in dem langfristigen Prozess gewesen, die Sammlungen definitiv aus dem Palast auszulagern, so der Museumsdirektor Alexander Kellner gegenüber der DW. Die Wirbeltiere, die Botanik, die Bibliothek und weitere kleinere Sammlungen hatte man bereits an andere Orte gebracht, weshalb sie erhalten blieben. Doch von den rund 20 Millionen Sammlungsstücken des Museums waren noch rund 80 Prozent im Gebäude. Rund die Hälfte des gesamten Museumsbestands wurde dort vernichtet.

Spenden aus Deutschland

"Am meisten tut uns weh, das ethnographische Material von indigenen Völkern verloren zu haben, die es nicht mehr gibt", so Kellner. Doch er bleibt Optimist. "Wir sind ziemlich gut beisammen. Das wichtigste bei so einer Katastrophe sind die Projekte für den Wiederaufbau. Und die machen wir gerade." Besonders dankbar sei man den Spendern aus Deutschland, so Kellner. Bisher sind 326.179 Euro der vom Auswärtigen Amt zugesagten Sondermittel von insgesamt maximal einer Million Euro ausgezahlt worden.

Aber auch die öffentliche Hand in Brasilien stellte trotz leerer Kassen Mittel zu Verfügung, um den Wiederaufbau anlaufen zu lassen. Kellner plant den Bau eines dreistöckigen Gebäudes im angrenzenden Park "Quinta da Boa Vista". Dort sollen die 90 Professoren, 230 Techniker und 500 Studenten erst einmal unterkommen und die geretteten Sammlungen eine provisorische Heimat finden.

Eine Lebensaufgabe

Auch ein Bildungszentrum für Kinder soll dabei sein, für das er derzeit Geldgeber in Europa und China sucht. "Wenn ich das Geld habe, könnten wir nächstes Jahr zu dieser Zeit ein neues Museum haben - provisorisch, klar, aber es wäre trotzdem toll. Dann wären wir zurück im Business." Das neu gestaltete Nationalmuseum selbst will er schrittweise zwischen 2022 und 2025 eröffnen.

Bis dahin wartet auf das Museums-Team viel Arbeit. "Die geretteten Stücke müssen untersucht und katalogisiert werden, es müssen Pläne für neue Ausstellungen ausgearbeitet, neue Kollektionen zusammengestellt und neue Untersuchungen gestartet werden", so Bastos. "Ich werde da Arbeit bis an mein Lebensende haben." Wie das neue Nationalmuseum einmal aussehen soll, weiß er bereits. "Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich den komplett modernisierten Palast, wieder in seinem ursprünglichen Aussehen, mit all seiner Geschichte, seiner Bedeutung und Opulenz. Und in ihm sehe ich eine wundervolle Ausstellung." Doch zuerst müssen die letzten Schuttberge durchsiebt werden. Es fehlen noch rund 15 Prozent, glaubt Witovisk. "Aber was wir bereits retten konnten, reicht schon für einen schönen Neuanfang des Nationalmuseums."

"In der Katastrophe liegt eine Chance"

Derzeit muss Witovisk noch improvisieren, ihren Unterricht gibt sie im Horto Botânico, einem Nebengebäude, das der Brand verschont hatte. Von der Förderinstitution Faperj habe man Gelder für die Restaurierung der Sammlungen erhalten, je 30.000 Real (etwa 6.500 Euro) pro Wissenschaftler. "Das ist alles nicht leicht, aber wir kommen voran." Mehr Sorgen bereitet ihr die Situation ihrer Studenten. Das Museum ist an die Bundesuniversität von Rio, UFRJ angegliedert. Und dort werden derzeit massiv Mittel gekürzt; auch Stipendien sind nicht mehr sicher. "Aber ich bin sowieso gerade in der Stimmung, Wunder zu erwarten, und so meistern wir den Alltag und hoffen, dass die Regierung nicht so weiter kürzt, wie sie es bereits getan hat."

In der Katastrophe des Nationalmuseums liege sogar eine Chance, glaubt Witovisk. "Als das Nationalmuseum seinen 200. Geburtstag feierte, hatten wir den Eindruck, dass es bereits aus der Blickfeld der Menschen verschwunden war." Das war wenige Wochen vor dem Brand, der das Museum dann plötzlich in den Fokus der Weltöffentlichkeit katapultierte. Während vor dem Brand nur wenige das Nationalmuseum besuchten, strömten die Menschen gleichzeitig in das neue "Museu do Amanha", ein "spektakuläres Museum ohne Sammlungen", wie Witovisk es nennt. Dort sei alles neu, es strotze vor Technologie und habe eine moderne Sprache. "Wer weiß, mit dem Neuaufbau, mit eher technologischen Ausstellungen, werden wir im Nationalmuseum ja vielleicht bald auch viel mehr Menschen anziehen."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Thomas Milz

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