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Bolivien: Kommentar zur Verhaftung von Jeanine Áñez – Vom Palast in den Knast

Boliviens Ex-Übergangspräsidentin Jeanine Áñez sitzt in Haft, weil sie angeblich an einem Staatsstreich beteiligt war. Sie sieht sich als Opfer politischer Verfolgung, Ex-Präsident Morales begrüßt die Polizeiaktion. Für das gespaltene Land heißt das nichts Gutes. 

Ex-Übergangspräsidentin Jeanine Áñez in Bolivien hinter Gittern. Foto: Agencia Boliviana de Informacion, Ricardo Carvallo Terán

Vor ein paar Wochen war Jeanine Áñez (53) noch die mächtigste Frau Boliviens. Seit Samstag sitzt sie in einer kargen Zelle hinter Gittern. Sie soll eine Terroristin und Putschistin sein, heißt es aus Justizkreisen. Ihre Verhaftung ist eine neue Belastungsprobe für die tief polarisierte und sich tief misstrauende  Nation.

Als die erzkonservative Juristin am 12. November 2019 mit der Bibel in den Präsidentenpalast von La Paz marschierte, sorgte das weltweit für Aufsehen. Die Interimspräsidentin setzte damit den Ton für ihre Amtszeit. Dabei war ihr einzige Aufgabe, Neuwahlen in Bolivien zu organisieren. Doch Áñez gefiel sich mehr und mehr in der Rolle der Staatschefin, traf politische Entscheidungen, für die ihr die demokratische Legitimation fehlte. Und sie brach wie ihr linksgerichteter Vorgänger Evo Morales ein gegebenes Versprechen an das bolivianische Volk: Morales wollte das Verfassungsreferendum anerkennen, das darüber entschied, ob er trotz Amtszeitbegrenzung in der Verfassung bei den Wahlen 2019 erneut antreten dürfe. Die Bolivianer sagten Nein. Morales trat trotzdem an, der Beginn einer bis heute anhaltenden Krise.

Seine Nachfolgerin Áñez wiederum versprach, das Interims-Amt und die damit verbundene Ressourcen nicht zu nutzen, um eine eigene Kandidatur voranzutreiben. Sie tat es trotzdem. Als dann auch noch die Corona-Pandemie über die Anden-Nation hereinbrach, zeigte Áñez, dass sie den Anforderungen ihres Amtes nicht gewachsen war. Korruptionsskandale erschütterten die Regierungsarbeit, am Ende wurde die Wut so groß, dass Áñez ihre Kandidatur wieder zurückziehen musste. 

Áñez sieht sich plötzlich als Opfer

Im Prinzip ist der Interims-Präsidentin nur eines gelungen: Faire, saubere, transparente Neuwahlen zu organisieren, die ihr eigene politische Karriere praktisch in die Bedeutungslosigkeit führten. Damit hätte die Geschichte zu Ende sein können, ist sie aber nicht. Seit ihrer Verhaftung ist Bolivien aufgewühlt: Die Opposition ist erschüttert; die UN, USA und die EU forderten Bolivien auf die Gewaltenteilung zu respektieren; die Bolivianische Bischofskonferenz warnt davor, dass der neuen Regierung drohe, der Versuchung der totalen Kontrolle, Rache und Machtmissbrauch zu verfallen. Und Áñez ist plötzlich ein Opfer, so sieht sie sich jedenfalls selbst. Ein Foto, dass sie in einer kargen Zelle zeigt, tut das Übrige.

Die Verhaftung zeigt aber vor allem eines: Wer in Bolivien regiert, bestimmt wie die Justiz agiert. Auch während der Áñez-Amtszeit wurden zahlreiche Kabinettsmitglieder der linken MAS verhaftet – übrigens mit fast gleichlautenden Vorwürfen. Nun stellt die MAS mit Luis Arce wieder den Präsidenten und prompt schlägt das Pendel zurück. Für einen von den Vereinten Nationen, Kirche und Menschenrechtsorganisationen geforderten Versöhnungsprozess ist das aber alles andere förderlich. 

Staatsstreich oder Wahlbetrug?

Bis heute gibt es von Experten genauso konträre Meinungen darüber, wer für die Gewaltausbrüche während der schweren innenpolitischen Krise 2019 verantwortlich war, wie über den tatsächlichen Wahlausgang, der zum Rücktritt von Morales führte. Morales selbst spricht von einem Putschversuch, zwei US-amerikanische Universitäten stützen seine Ansichten. Die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanische Staaten aber auch bolivianische Wissenschaftler sind dagegen überzeugt, dass beim Urnengang getrickst wurde. Das wirklich aufzuklären, wäre eigentlich Aufgabe einer international unabhängigen Kommission. Doch die inzwischen wieder regierende MAS, hat ein Interesse daran, dass sich ihre Version der Geschichtsschreibung durchsetzt und schafft nun Fakten. Ob sie sich damit allerdings einen Gefallen getan hat, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Opposition kündigte bereits Mahnwachen und Protestaktionen an.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass es vor allem zwei Wortbrüche waren, die Bolivien in diese polarisierende Lage gebracht haben. Und, dass das letzte Kapitel dieser unendlichen Geschichte längst noch nicht geschrieben ist. Áñez selbst meldete sich dazu auf Twitter zu Wort: „Die politische Verfolgung hat begonnen.“ Die Regierung werfe ihr vor „an einem Staatsstreich teilgenommen zu haben, den es nie gegeben hat.“ Morales dagegen erklärte, gegen die „Drahtzieher und Komplizen“ des „Staatsstreichs“ gegen ihn müsse „ermittelt“ und sie „bestraft“ werden. Bolivien stehen erneut unruhige Tage bevor und wieder einmal kann alles ganz anders kommen, als noch vor ein paar Wochen gedacht – nicht nur für Jeanine Áñez.

Autor: Tobias Käufer 

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