Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Chile |

Bitterer Nachgeschmack

Vor zehn Jahren, an einem wüstenkalten Abend, schaute die ganze Welt ins ferne Chile. Mit Live-Schalten und Reportagen wurden die Menschen überall Zeuge einer einzigartigen Rettung. 33 Bergleute wurden nach über zwei Monaten in ihrem dunklen und feucht-heißen Bergverlies mit einer eigens entworfenen Kapsel ins Leben zurückgeholt. Es war eine historische Rettung. 

Vor zehn Jahren wurden die 33 chilenischen Minenarbeiter gerettet. Die meisten Bergleute verfolgt das Unglück noch heute. Foto: Alex FuentesCC BY-NC-ND 2.0

Jorge Galleguillos, einer der 33 Geretteten, lässt das Erlebte bis heute nicht los: „Ich werde nachts wach, schlafe wenig, manchmal bin ich wieder unten im Schacht, das tut nicht gut." So wie Galleguillos geht es jedem seiner 32 Kumpel. 

Am 5. August war gegen 14.30 Uhr der Stollen in dem Gold- und Kupferbergwerk in der nordchilenischen Atacama-Wüste eingestürzt und verschüttete die Grubenarbeiter. „Wir dachten am Anfang, dass es kein Entrinnen aus der Falle gibt, vor allem die vielen jungen Kollegen gerieten in Panik“, erinnert sich Luis Urzúa. Der damalige Schichtleiter hatte einiges an Erfahrung als Bergmann: „Aber die ersten Momente waren chaotisch, niemand wusste, was zu tun war.“

Rettung nach 69 Tagen

Wie fast alle der „Mineros“ ließen Urzúa und Galleguillos den Bergbau nach der erfolgreichen Rettung 69 Tage später hinter sich. Der 64-jährige Schichtleiter hält heute Reden, gibt Motivationskurse, erzählt den Menschen von den Erfahrungen damals. Schließlich war er einer der mental Stärksten unter den 33. Urzúa war der Letzte, der am 13. Oktober um 21.55 Uhr in der Fénix-2-Rettungskapsel nach oben gezogen wurde. Und er war der Erste, der damals sprach.

Nach der Rettung wollten die meisten der Kumpel nichts mehr mit Bergwerken zu tun haben, andere ließ man nicht mehr. „Wir 33 galten bei vielen Minenbetreibern nach dem Unfall als nicht vermittelbar, als Männer mit psychologischen Problemen“, erinnert sich zum Beispiel sein Kumpel Osman Araya im Gespräch. 

Mehr als zwei Monate in Dunkelheit und Hitze in fast 700 Metern Tiefe haben die Männer und auch ihre Familien für immer geprägt. Allein die finale Rettungsaktion dauerte 22 Stunden und 37 Minuten. Die Wochen zuvor erhielten die Minenarbeiter per Sonde ihre Nahrung und auch die Betreuung eines Psychologen und den emotionalen Zuspruch der Familie. Parallel dazu brüteten Ingenieure darüber, wie man die Eingeschlossenen herausholen könnte. Je länger die Männer tief in der Erde um ihr Leben bangten, desto mehr nahm die Welt Anteil an ihrem Schicksal im abgelegenen Winkel Südamerikas. 

Die Geschäfte der anderen

Aber zehn Jahre später ist der Ruhm verblasst, die Männer fühlen sich von Politikern und Journalisten ausgenutzt, von Filmproduzenten über den Tisch gezogen: „Wir waren nur die kleinen dummen Mineros damals“, ärgert sich Osman Araya. „Das große Geschäft mit uns haben andere gemacht.“ Etwa Hollywood, das 2015 den Film „69 Tage Hoffnung“ („The 33“ im Original) mit Antonio Banderas und Juliette Binoche herausbrachte. Von den Einnahmen haben die Mineros so gut wie nichts gesehen. 

Die 33 verstehen bis heute nicht, wie sie erst so rumgereicht und dann so vergessen werden konnten: „Berühmt waren sie nie wirklich“, urteilt der Psychologe Alberto Iturra. Er betreute die Männer während der langen Wochen des Wartens auf Rettung. „Sie wurden wie im Zoo vorgeführt. Es war eine Art journalistisches Stalking,“ sagt Iturra im Gespräch. 

Tatsächlich war der Fall der 33 Mineros von San José ein globales Medienthema mit Live-Schalten, langen Reportagen, Magazin- und Personality-Storys. 69 Tage lang interessierte jeden das Schicksal der Bergmänner, die da am Ende der Welt in einem Stollen in 688 Metern Tiefe eingeschlossen waren.

Eine Notgemeinschaft

Denn die Geschichte rührte die Herzen der Welt spätestens nach dem 22. August. An diesem Sonntag lokalisierte eine Sonde die Eingeschlossenen. 17 Tage lang hatte es von Urzúa und seinen Kollegen kein Lebenszeichen gegeben. Aber dann gingen Bilder staubiger und erschöpfter, aber glücklicher Gesichter, die in eine kleine Kamera schauten, um die Welt. „Heute weint ganz Chile vor Freude“, sagte damals Chiles Präsident Sebastián Piñera. Dabei hielt er einen kleinen in roter Tinte geschrieben Zettel in die Kameras, auf dem stand: „Uns geht es gut, alle 33 sind wir im Schutzraum“. 

Gut war relativ - bei 35 Grad, 98 Prozent Luftfeuchtigkeit und phasenweise totaler Dunkelheit. Am 13. Oktober dann, kurz nach Mitternacht wurde der erste Minero mit der Rettungskapsel zurück ins Leben geholt. Das Fernsehen übertrug live. Fast 24 Stunden später war das Wunder der komplexesten Rettung in der Geschichte des Bergbaus vollbracht. 

In der Gefangenschaft des Berges verschworen sich die Männer zwischen 19 und 63 Jahren zu einer Notgemeinschaft, die nur ein Ziel kannte: Überleben bis zum Tag der Befreiung. „Sie waren aber nie Freunde“, erinnert sich Psychologe Iturra. „Die 33 waren verschieden alt, kamen aus unterschiedlichen Regionen des Landes, hatten nicht die gleichen Hintergründe“.

Und so seien die 33 auch „heute sehr distanziert“, weiß Iturra, der damals jeden Tag mit den Männern sprach, sie ermunterte und heute noch zu einigen Kontakt hält. „Alle eint die unendliche Dankbarkeit, dass sie überlebt haben“. Aber als das Medieninteresse nach einem Jahr einschlief, die Reisen nach Madrid, Manchester, Israel und Disneyworld hinter ihnen lagen, ging jeder seinen Weg. „Manche kamen besser, andere schlechter durch den Alltag.“ Manch einer war mehr als ein Jahr krankgeschrieben. Viele machten Therapie. Fast alle versuchten zu vergessen oder zu verdrängen. Schließlich mussten sie wieder arbeiten, um ihre Familien zu ernähren.

Frust bleibt

Die einen arbeiten als Mechaniker, andere als Fahrer, einer ist bei der Bergbaubehörde angestellt. Claudio Yáñez ist einer derer, die wieder im Bergbau malochen. Der 44-Jährige war damals in San José unter Tage als Hauer beschäftigt. „Aber nun arbeite ich über Tage und warte Maschinen“. Die Alpträume lägen hinter ihm, erzählt Yáñez. „Nur manchmal, wenn mich Kollegen nach damals fragen und ich mich erinnere, dann kommen die traurigen Momente zurück.“ 

Geblieben ist auch der Frust darüber, dass sich nach Empfinden der 33 alle an dem Unglück bereichert haben, nur sie selbst nicht. „Wir haben lauter Verträge unterschrieben, die meisten in Englisch, das wir nicht sprechen, aber bekommen haben wir nichts“, sagt Yáñez. Dabei hatten die Männer nach der Rettung, dem Medieninteresse und vielen Einflüsterern davon geträumt, im Handumdrehen reich zu werden. Dankbar sind alle 33 nur dem chilenischen Milliardär Leonardo Farkas. Er schenkte damals jedem Minero umgerechnet 10.000 Dollar. „Farkas ist der einzige der für uns was getan hat“, beharrt Yáñez. 

Autor: Klaus Ehringfeld

Weitere Nachrichten zu: Soziales

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz