Betancourt: Kirche wichtig für die soziale Transformation
Die ehemalige Farc-Geisel und Ex-Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt mischt eifrig im Präsidentschaftswahlkampf in Kolumbien mit. Sie hat klare Vorstellungen, wie es mit dem südamerikanischen Land weitergehen soll.

Die ehemalige kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt 2015 bei einem Besuch im Aalborg Stift, Dänemark. Foto: Ingrid Betancourt i Aalborg, Aalborg Stift - Christian Roar Pedersen, 23203099, CC BY-ND 4.0
Ein silbernes Kreuz ist steter Begleiter von Ingrid Betancourt. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin und wohl bekannteste ehemalige Guerilla-Geisel Kolumbiens trägt das Schmuckstück gut sichtbar um ihren Hals. Sie selbst sagte einmal, der christliche Glaube habe ihr während der Geiselhaft das Überleben ermöglicht.
Mehr als sechs Jahre war Ingrid Betancourt in der Gewalt der Farc-Guerilla. Im Jahr 2002 wurde sie während einer Wahlkampfreise von den Rebellen verschleppt. Ihre gewaltsame Befreiung 2008 durch ein Spezialkommando der kolumbianischen Armee ging um die Welt. Nach einigen Jahren in ihrer Wahlheimat Frankreich ist Betancourt heute wieder in der kolumbianischen Politik aktiv. Ihre eigene Präsidentschaftskandidatur zog sie wenige Tage vor dem ersten Durchgang zugunsten des parteilosen Rodolfo Hernández (77) zurück, der laut Umfragen gute Chancen hat, die Stichwahl gegen den Linkskandidaten und Ex-Guerillero Gustavo Petro (62) am 19. Juni zu gewinnen.
Verhandlungen mit ELN wieder aufnehmen
Sollte Hernández tatsächlich neuer Präsident werden, könnte Betancourt eine wichtige Rolle in der neuen Regierung übernehmen. Dann wäre ihr politisches Comeback perfekt. Wegen ihrer internationalen Prominenz und ihrer Lebensgeschichte hat ihre Stimme Gewicht. Wie Hernández und dessen Gegenkandidat Petro spricht sich auch Betancourt für Friedensverhandlungen mit der immer noch aktiven ELN-Guerilla aus. Eine Forderung, die auch die Kirche in Kolumbien unterstützt.
"Die Anschläge der letzten Wochen, die blutigen Attentate gegen die Zivilbevölkerung, erinnern an die Zeit vor den ersten Friedensgesprächen der Farc mit dem damaligen Präsidenten Andrés Pastrana", sagt Betancourt bei einem Treffen mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Es sei gut möglich, dass die ELN damit ihre Verhandlungsposition stärken wolle. Tatsächlich habe sie aber ihren Rückhalt in der Bevölkerung geschwächt. Eine neue Regierung müsse der ELN eine Frist setzen, in der verhandelt werden müsse, schlägt Betancourt deswegen vor. Und es müsse der ELN klar sein, dass sie keinen besseren Friedensvertrag aushandeln könne als jenen mit der Farc, der 2016 abgeschlossen wurde.
Die aktuelle Regierung um den konservativen Präsidenten Iván Duque legte die Friedensgespräche wegen eines verheerenden Bombenanschlages auf eine Polizeikaserne mit mehr als 20 Toten auf Eis. Duque kann wegen einer Amtszeitbegrenzung nicht wieder gewählt werden.
Kirche spielt wichtige Rolle für Frieden
Eine Schlüsselrolle im Friedensprozess nimmt nach Einschätzung Betancourts die katholische Kirche ein. "Sie ist eine hoch angesehene Institution in Kolumbien." In allen humanitären Angelegenheiten habe die Kirche Präsenz gezeigt und sie sei tief in der Bevölkerung verwurzelt. "Wir zählen auf die katholische Kirche als Verbündeten bei der sozialen Transformation, die Kolumbien braucht", sagt Betancourt. Ein Schlüssel dazu sei, den ärmeren Bevölkerungsschichten Zugang zu Wohneigentum zu ermöglichen. Sozialer Wohnungsbau spielt deswegen in ihren Vorstellungen eine wichtige Rolle. Eine Familie, die an Wohneigentum gelange, verlasse mittelfristig den Kreislauf der Armut.
Sowohl Petro als auch Hernández wollen in der Drogenpolitik einen neuen Ansatz wählen. Betancourt sieht das ähnlich. Es sei sehr wichtig zu verstehen, dass das Ziel einer Entkriminalisierung von Drogen darin bestehe, das Ende des Drogenhandels zu erreichen. "Denn die Profite, die durch das Verbot erzielt werden, sind so groß, dass wir auch nach 40 Jahren Krieg gegen Drogen mit Drogenhändlern auf dem ganzen Kontinent immer noch im Krieg sind."
Drogen legalisieren
Betancourt zielt auf Veränderung ab: "Fakt ist, wir haben es nicht geschafft, dieses Geschäft zu beenden, auch nicht mit den Finanzen und der militärischen Kraft der USA. Deshalb müssen wir das Geschäft wirtschaftlich beenden und das erreichen wir nur, wenn es kein gutes Geschäft mehr ist, Drogen zu verkaufen." Das allerdings könne Kolumbien nicht im Alleingang schaffen, sondern es müsse in Abstimmung mit allen Ländern auf dem amerikanischen Kontinent geschehen - von Kanada bis Chile und Argentinien.