Angriffe von links und rechts: Südamerikas Justiz in der Zange
In Lateinamerika gerät das Justizsystem zunehmend unter Druck von Populisten. Richter werden von wütenden Demonstranten als "Ratten" beschimpft. Für die Demokratie ist das kein gutes Zeichen.
"Raus mit den korrupten Richtern" - so steht es auf einem Plakat, das auf der Plaza Lavalle in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires mit viel Beifall bedacht wird. Rund 3.000 Menschen sind gekommen, nicht ganz so viele wie von den Veranstaltern erhofft. Aber genug, um die Justizgebäude im Herzen der Millionenmetropole vorsorglich mit Gittern abzusperren. An diesen Gittern werden nun symbolisch "Vergehen" der Justiz angeprangert. Zumindest von den Demonstranten, die allesamt aus dem Lager der argentinischen Vizepräsidentin Cristina Kirchner stammen.
Die peronistisch-populistische Politikerin hat die Straße gegen die Justiz mobilisiert. Hintergrund ist ein Urteil gegen die ehemalige Präsidentin (2007-2015). Ein Gericht sah es als erwiesen an, dass Kirchner zu einem Korruptionsnetzwerk gehörte, das sich auf Kosten der Steuerzahler mit öffentlichen Bauaufträgen selbst bereicherte. Die Strafe: etwas mehr als sechs Jahre Haft. Ob sie sie jemals antreten muss, ist ungewiss.
Es könnte sein, dass Kirchner doch noch einmal als Präsidentschaftskandidatin für die Wahl in diesem Jahr ins Rennen geht. Die während ihrer Amtszeit zur Multimillionärin aufgestiegene, machtbewusste Frau sieht sich als Opfer einer Verschwörung, was die Linken in Lateinamerika "Lawfare" nennen: die gezielte Diskriminierung und Verfolgung politischer Gegner durch die Justiz, die vor allem gegen Vertreter aus dem linken Lager eingesetzt werde. Nun fordert das Kirchner-Lager eine Justizreform in Argentinien, damit so etwas nicht mehr vorkomme.
In Buenos Aires schreien sich die Linksaktivisten nun die Wut von der Seele: "Wenn diese Schurken auch nur einen Funken Scham und Würde hätten, müssten sie zurücktreten", ruft Nora Cortinas von einer Behelfsbühne, und meint damit die Richterinnen und Richter. "Ratten", "korruptes Pack" seien all jene, die gegen Kirchner ermitteln. Es geht ruppig zu an diesem Februar-Nachmittag.
Verteidigung der Idole
In Brasilien beließen es die Anhänger des rechtsgerichteten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro nicht nur bei einem rüden Umgangston. Sie stürmten im Januar zu Hunderten die Gebäude in der Hauptstadt. Wegen ungenügender Absicherung gelang es ihnen, ins Gebäude des Obersten Gerichtshofs einzudringen und die Einrichtung zu verwüsten. Auch dort wurde die Wut gezielt gesteuert. Bolsonaro und seine radikalen Anhänger sehen den Obersten Gerichtshof sowie das Wahlgericht als "Teil eines unfairen Systems", das die Wiederwahl Bolsonaros verhindert haben soll. Die Ansichten zwischen Links- und Rechtsaußen liegen in Südamerika nicht weit auseinander, wenn es um die Verteidigung der eigenen Idole geht.
In Bolivien warnt die Kirche davor, dass das "parteiische Justizsystem" zu politischen Zwecken instrumentalisiert werde. "Es ist nicht verwunderlich, wenn jemand sagt, dass die Rechtsprechung in unserem Land nicht unparteiisch ist", sagte Bischof Giovani Arana aus der bevölkerungsreichen Diözese El Alto, zugleich Generalsekretär der Bolivianischen Bischofskonferenz in dieser Woche.
In Bolivien wurde vor einigen Monaten die frühere liberal-konservative Interimspräsidentin Jeanine Anez in Folge der politischen Unruhen 2019 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Dabei war sie es, die Neuwahlen inmitten des ersten Pandemiejahres organisierte und so die Sozialisten wieder an die Macht brachte. Vor wenigen Tagen wurde zudem der populäre konservative Oppositionspolitiker Luis Fernando Camacho verhaftet. Auch ihm droht nun ein Prozess.